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„Es braucht viele Parteien, um so eine Innovation zum Fliegen zu bringen“

Wie genau funktioniert die Zusammenarbeit in den Formaten des Cross Innovation Hub? Im Interview zu unserem Case FAIRCRAFT, der 2021 im Cross Innovation Lab seinen Ursprung fand, stehen uns ein beteiligter Produktdesigner und Unternehmer Rede und Antwort.

„Es braucht viele Parteien, um so eine Innovation zum Fliegen zu bringen“ -

Der Cross Innovation Hub ist der Ursprungsort vieler bahnbrechender Ideen. Ein Highlight: das Projekt FAIRCRAFT. Mit einer revolutionären Flugzeugkabine soll die Luftfahrt nachhaltiger gemacht werden. Aber wie geht man so eine Innovation an? Was sind die Hürden, die Herausforderungen? Und wie reibungslos klappt die Kooperation zwischen Kreativwirtschaft und klassischer Wirtschaft? Designer Sebastian Mends-Cole und Dr. Christian-André Keun, Geschäftsführer des Unternehmens CompriseTec, geben Einblick in den Entwicklungsprozess.

Sebastian und Christian, im Rahmen des Cross Innovation Lab 2021 habt ihr zusammen mit anderen Partnern eine nachhaltige Flugzeugkabine entwickelt. Aber ist das denn wirklich so innovativ? Schließen sich Fliegen und Nachhaltigkeit nicht eigentlich grundsätzlich aus?

Sebastian Mends-Cole: Natürlich wäre es besser, wenn wir alle ab sofort gar nicht mehr fliegen. Wirklich realistisch ist dieser Vorsatz aber nicht. In der Nachhaltigkeit braucht es gerade viele Lösungen, vor allem schnelle. Als wir mit unserer Arbeit begonnen haben, waren wir uns zum Glück schnell alle einig, dass wir keine Prototypen für aerodynamischere Flugzeugmodelle entwickeln, die vielleicht erst im Jahr 2070 Wirklichkeit werden oder neue Antriebstechnologien, bei denen zum Beispiel nur noch Wasser raustropft. Stattdessen haben wir uns auf die Kabine konzentriert, weil wir dort die kürztmögliche Entwicklungszeit innerhalb der Luftfahrt erwarten. Im Schnitt werden die Kabinenbestandteile alle vier bis acht Jahre ausgetauscht. Im Idealfall könnte unsere Lösung bereits 2030 zum Einsatz kommen. Und weil die meisten Maschinen von heute circa 30 bis 40 Jahre im Einsatz sein könnten, gab es da aus unserer Sicht einen großen Hebel in Sachen Ressourcen- und Umweltschutz.


Wie genau seid ihr euren Innovationsprozess angegangen?

Christian-André Keun: Um die Idee eines Prototyps zu konkretisieren, mussten wir erst einmal den Projektrahmen besser eingrenzen, uns ein spezifisches Szenario überlegen. Wir haben uns zum Beispiel eingangs gefragt, welche wohl die kürzeste Strecke ist, die im Jahr 2030 noch geflogen wird. In unserer Vorstellung war das die Strecke zwischen Hamburg und Zürich. Kürzere Flüge sind dann wahrscheinlich verboten oder aufgrund der hohen CO2-Abgaben für die meisten Menschen zu kostspielig. Außerdem haben wir Urlaubs- oder Langstreckenflieger gedanklich ausgeklammert, bei denen die Zielgruppe einen gewissen Komfort erwartet und Änderungen der Innenausstattung eher schwierig sind. Also haben wir uns die Maschinen für die Businessreisenden vorgeköpft, die vor allem schnell von A nach B und wieder zurück wollen, den Flieger also eher wie einen Bus benutzen.


Was ist denn bei eurer Kabine anders?

Keun: Um unseren Herangang zu verstehen, muss man wissen, dass die Luftfahrt in den vergangenen 30 Jahren vor allem auf Gewichtsreduktion gesetzt hat, um ihre Flugzeuge leichter und kerosinsparender zu machen. Das ist auch richtig so. Aber alles, was derzeit in eine Kabine eingebaut wird, ist alles andere als nachhaltig, weil sich die Einzelteile so gut wie gar nicht recyclieren lassen. Von einer Kreislauffähigkeit möchte ich gar nicht sprechen.

Mends-Cole: … und deshalb haben wir das Prinzip einfach mal auf den Kopf gestellt. Wir haben uns den Innenausbau eines Airbus A320 vorgestellt und einfach gedanklich mal alles weggelassen. Die Staufächer über den Köpfen und die Lüftungssysteme haben wir auch rausgeschmissen, den ganzen Flieger total gelichtet. Unsere Sitze bestehen nicht mehr aus einem schweren Metallskelett. Vielmehr handelt es sich um Sitzschalen aus leichten Textilien, die mit Gurten an der Decke verspannt sind und nur noch mit ein paar dünnen Stehlen aus Kunststoff oder Aluminium am Kabinenboden fixiert sind. Insgesamt sparen wir bei den Sitzen so die Hälfte des Gewichts ein.

Und was bringt das?

Keun: Laut unseren Kalkulationen sparen wir so rund eine Tonne Gewicht bei der 60 Tonnen schweren Maschine ein. Inzwischen sind wir bei der neunten Designversion der Sitze angelangt und sehen noch ein wenig weiteres Potential. Außerdem sind die Sitze und deren Bestandteile am Ende ihrer Gebrauchszeit einfach zu trennen. Dann lassen sie sich nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip zu neuen Produkten verarbeiten.


Das hört sich nach einem sehr zeitintensiven Entwicklungsprozess an.

Mends-Cole: Wenn man das mit gewöhnlichen Entwicklungsprozessen in der Wirtschaft vergleicht, war es das aber nicht, da halfen die festgelegten Prozesse des Cross Innovation Lab. Weil der zeitliche Rahmen und das Ziel so gut definiert waren, hielt sich der zeitliche Aufwand in Grenzen. Die gut organisierten Workshops haben sehr viel gebracht.

Keun: Dabei hat natürlich geholfen, dass es bereits vorher die Idee für ein anderes leichteres Produkt aus wiederverwertbarem Material gab. Im Nachhinein finde ich es aber sehr spannend, wo wir gelandet sind. Dass der Sitz eine viel interessantere und effektivere Lösung wäre als die Ursprungsidee, darauf sind wir erst durch die Methoden und den externen Input in den Workshops des Cross Innovation Lab gekommen. Wir waren also bereits auf dem richtigen Weg und es brauchte aber eine gewisse Konstellation an Experten und Kreativen, die wir aus unserem Umfeld so nicht auf die Beine hätten stellen können.

Wie würdet ihr eure Zusammenarbeit beim Cross Innovation Lab im Nachhinein bewerten? Immerhin weiß man ja vorher nie, mit welchen Beteiligten man es zu tun hat, ob die unterschiedlichen Expertisen zueinanderpassen, die anderen Beteiligten die eigenen Methoden, Prozesse und Herausforderungen auch nachvollziehen können…

Mends-Cole: Also Annäherungsschwierigkeiten gab es nicht. Als gelernter Produktdesigner bin ich ja eine enge Zusammenarbeit mit Unternehmen und die Kooperation mit anderen Disziplinen gewohnt. Aber heutzutage gibt es immer noch Kund*innen, denen du als Designer erklären musst, wie du eigentlich genau arbeitest, was als nächstes kommt, was das Ziel ist. Eigentlich interessieren sich aber alle nur für den Preis, der Rest rückt in den Hintergrund. Und dann wirst du nur für den letzten Schliff gebucht, darfst gefühlt nur noch die Farbe und das Muster aussuchen. Dabei müsste man uns Designer schon viel früher in solche Entwicklungsprozesse einbinden. Immerhin erkennen wir bestimmte Probleme schon sehr früh. Da kommt der Cross Innovation Hub ins Spiel: Weil andere die Steuerungsaspekte übernehmen, den kreativen Prozess erklären und moderieren, können wir Kreative uns voll und ganz auf das Inhaltliche konzentrieren.

Keun: Aus unternehmerischer Sicht fand ich diese strukturierte Begleitung auch sehr hilfreich. Den anderen Partnerunternehmen und mir hat es sehr geholfen zu sehen, wie genau die beteiligten Kreativen im Vorfeld nach ihren individuellen Kompetenzen und Stärken ausgewählt wurden, damit sie uns auch wirklich helfen können. Etwas gewöhnungsbedürftiger war dann der Innovationsprozess als solcher: Dass man in den einzelnen Phasen abwechselnd die Gedanken komplett öffnet, um nicht nur in der eigenen Nische zu denken, und sich dann wieder auf einen Teilaspekt fokussiert, das war schon eine gewisse Herausforderung – gerade für unsere Partner von Autoflug, die sich auf Flugzeugsitze spezialisiert haben, und sich auf einmal mit ganz anderen Teilen der Kabinenausstattung beschäftigen mussten. Wir mussten teilweise unser ganzes Fachwissen ausblenden, um nicht voreingenommen zu sein und so alternative Ansätze zu finden.

Mends-Cole: Das ist ja genau das Spannende an so einem Kreativprozess: Dass man eben nicht weiß, wo er hinführt. Nicht das Ziel ist definiert, sondern der Weg.

Keun: Trotzdem ein schräges Gefühl. Wir Ingenieur*innen bekommen ja meistens ganz konkrete Spezifikationen und versuchen dann auf dem kürzesten Weg die günstigste und einfachste Lösung zu finden. Beim Cross Innovation Lab lief das ganz anders. Dabei ging es ja um ein Problem, das wir noch nicht einmal kannten. Aber auch da hat der starke Input von außen geholfen. Immer wieder wurden nämlich andere Kreative aus dem Cross Innovation Hub hinzugezogen. Die haben uns viele weitere Richtungen aufgezeigt, in die man noch denken könnte. Zum Beispiel hat die Filmemacherin Claudia Rinke, die die gesamte Customer Journey um das FAIRCRAFT herum entwickelt, die Geschichte um unsere fiktiven Passagiere Holger Kraft und Charlotte Business geschrieben. Auch wenn wir immer noch sehr auf die technische Umsetzung fokussiert sind, hilft uns diese Perspektive doch immer wieder dabei, die Bedürfnisse der Passagiere im Blick zu behalten.

Welche Schlüsselkompetenzen oder Rahmenbedingungen braucht es, damit solche Entwicklungsprozesse mit unterschiedlichen Beteiligten auch wirklich erfolgreich sind?

Mends-Cole: Ganz grundsätzlich müssten mehr Entscheider*innen wie Christian an solchen Workshops, Labs oder ähnlichen Formaten teilnehmen. Es geht hier immerhin um Lösungen, die wirklich zukunftsweisend sind, in denen echtes Potenzial steckt und von denen Unternehmen wirklich profitieren können. Die Entscheidung, ob zum Beispiel ein Produkt dann auch wirklich weiterentwickelt und auf den Markt gebracht wird, können Angestellte niemals treffen.

Keun: Das würde aber bedeuten, dass gerade mittelständische und große Unternehmen von solchen Prozessen ausgeschlossen sind. Bei denen ist es ja sehr schwierig, dass die Hauptverantwortlichen immer für solche Workshops verfügbar sind…

Mends-Cole: … aber vielleicht ist das genau die Erklärung für die Flaute, die wir gerade in Deutschland erleben. Innovation ist doch eigentlich Chefsache. Man findet aber kaum noch Entscheider*innen, auch nicht in den mittleren Führungsebenen, die an Programmen wie dem Cross Innovation Hub teilnehmen. Andere Dinge sind anscheinend oft wichtiger.

Keun: Das stimmt. Da braucht es schon sehr viel Überzeugungskraft. Vielleicht würde es da helfen, dass sich Unternehmen vermehrt in Clustern zusammenschließen, so wie wir es gemacht haben. Beim FAIRCRAFT waren es sieben Unternehmen, die ein ähnliches Problem lösen wollten, aber aus völlig unterschiedlichen Perspektiven und mit völlig individuellen Ambitionen. Wahrscheinlich braucht es viele Parteien, um so eine Innovation zum Fliegen zu bringen.

War eure Zusammenarbeit denn im Rückblick ein Erfolg?

Keun: Was heißt hier „war“? Wir arbeiten ja immer noch zusammen.

Mends-Cole: Vor ein paar Tagen erst haben wir zusammengesessen, das ging dann lang, ist mit Pizza und Bier geendet.

Keun: Eine sehr nachhaltige Partnerschaft… Leider ist ein Partner nicht mehr dabei, aus wirtschaftlichen oder organisatorischen Gründen. Wir aber glauben an das Produkt und sind mehr und mehr überzeugt. Deshalb machen wir ja auch weiter.

Mends-Cole: Für ein Fazit ist es aber noch zu früh.

Keun: Ja. Wir haben uns nach dem Cross Innovation Lab um Förderung von der IFB Hamburg beworben und schließlich auch erhalten. Wir können also weiterarbeiten. Im Mai 2024 wollen wir den Zwischenstand auf der Aircraft Interior Expo in Hamburg präsentieren. Dafür haben wir von Partnern einen Demo-Flugzeugrumpf erhalten, den wir nun als Mockup umbauen. Diesen bringen wir in die Messehalle und hängen zwei Sitzreihen hinein…

Mends-Cole: …bitte drei Sitzreihen!

Autor: Laslo Seyda

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In diesem Artikel

„Es braucht viele Parteien, um so eine Innovation zum Fliegen zu bringen“ -

„Es braucht viele Parteien, um so eine Innovation zum Fliegen zu bringen“ -

Sebastian Mends-Cole (li.), Co-Founder BFGF GmbH & Dr. Christian-André Keun, CEO CompriseTec GmbH

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