Mind the Progress 2021
Zwischen Privatsphäre und Personalisierung – das Datenschutz-Dilemma

Bei Mind the Progress 2021 dreht sich am 20. Und 21. August alles darum, wie wir unseren digitalen Blindflug beenden können. Ein Evergreen zum Thema: Dienste wie Google, Amazon, Instagram und Co. erleichtern uns das Leben, indem sie uns individuell zugeschnittene Angebote und Informationen servieren. Doch welchen Preis hat dieser Komfort? Unsere Autorin Mali Paede ist auf Spurensuche gegangen.
Dating, Shoppen, Recherchieren: 2021 erledigen wir diese Dinge – dank World Wide Web und Digitalisierung – meist von Zuhause aus über das nächstbeste internetfähige Gerät. Alles was wir brauchen und wollen ist nur einen Klick entfernt.
Besonders praktisch: Google, Amazon und Co. servieren uns die angeforderten Angebote und Informationen nicht nur innerhalb von Millisekunden, sondern obendrein individuell abgestimmt auf unseren ganz persönlichen Bedarf. Das ist herrlich zeitsparend und bequem. Sind wir „einmal auf den Geschmack gekommen“ so Wirtschaftswissenschaftlerin Sarah Spiekermann et al., möchten wir diese Empfehlungssysteme deswegen „nicht mehr missen.“ Doch welchen Preis zahlen wir für den Komfort?
Personalisierung funktioniert nur via Wissen
Suchmaschinen, Onlineshops und soziale Netzwerke können uns nur dann personalisierte Suchergebnisse, Produktvorschläge und Inhalte liefern, wenn sie ihre Nutzer*innen wirklich gut kennen. Dafür speichern sie möglichst viele Daten über uns. Das macht Sinn: Kommen die passendsten Geschenke und Ratschläge nicht stets von jenen Personen in unserem Leben, die am meisten über uns wissen?
Nach dem selben Prinzip funktionieren Online-Dienste. Je mehr Informationen sie über uns haben, desto maßgeschneiderter ist ihr Service. So weit, so logisch. Der Unterschied zu vertrauten Menschen: Die Plattformen sind nicht unsere Freunde, sondern Konzerne, die aus uns und unseren Daten Profit schlagen wollen: „Unternehmen erhöhen durch eine personalisierte Behandlung die Zufriedenheit und Treue ihrer Kunden und damit letztendlich den eigenen Umsatz und Gewinn“, erklären Spiekermann et al.
Wie die Konzerne an unsere Daten gelangen
Beim Surfen werden wir permanent überwacht: Tracking- und Analyse-Tools erfassen jeden Klick und jede Suchanfrage. Sie protokollieren Standort, Provider, Ladegeschwindigkeiten, wie lange wir bestimmte Angebote betrachten, welche Musik wir hören, welche Videos wir schauen und zu welcher Uhrzeit wir im Internet unterwegs sind. Einige Mail-Hosts durchleuchten unsere Nachrichten nach werberelevanten Begriffen. Und: nicht nur Handy, Computer und Tablet senden Daten an Google und Co. – auch E-Book Reader sowie Smarte Speaker, TVs und Armbanduhren leiten Informationen über uns und unsere Aktivitäten weiter an die Server.

Welche Daten die Dienste wie lange speichern, ist kaum jemandem klar. Die Unternehmen halten sich so weit es geht bedeckt. Es liegt deswegen primär an uns, persönliche Daten zu schützen. Google und Co. werden das nicht für uns übernehmen.
Der Bequemlichkeit zuliebe heißt es beim Thema Datenschutz allerdings oft: Scheuklappen statt Leselupe. Wir aktivieren Cookies und bestätigen Allgemeine Geschäftsbedingungen ohne die umständlich formulierten Bedingungen zu lesen. Das würde schließlich Zeit sowie Energie kosten und wäre damit viel zu anstrengend. Die Rechtfertigung: „Warum sollte ich aufpassen, wovor Angst haben? Ich habe doch nichts zu verbergen!“.
Detektive im Netz
Wovor wir die Augen verschließen: Die Tech-Giganten lassen die gesammelten Daten durch hochmoderne Algorithmen auswerten – und diese Systeme sind gewiefte Detektive. Sie sind fähig, aus vermeintlich unverfänglichen Klicks, Suchanfragen, Entscheidungen überraschende Schlüsse zu ziehen. Je mehr Daten sie haben, desto zutreffender sind die Annahmen. Via Korrelationsanalyse machen sie so unser Alter aus, den Familien- und Beziehungsstatus, unseren Bildungsgrad und ob wir im Eigenheim oder zur Miete wohnen. Wie viele Menschen diese sensiblen Infos tatsächlich gerne mit den Konzernen teilen, ist fraglich.

Datengetriebene Schwangerschaftstests
Ein Beispiel aus den USA macht deutlich, wie viel Unternehmen via Datenanalyse über uns herausfinden können: Der US-amerikanischen Supermarktkette Target ist es gelungen, zu ermitteln, welche Kundinnen ein Baby erwarten. Und das Monate bevor sie zu Schwangerschafts- oder Babyprodukten greifen. Das Verfahren: Target weißt Kund*innen ID-Nummern zu, die verknüpft sind mit den jeweiligen Namen, E-Mail-Adressen und/oder Kreditkartennummern. So kann der Konzern exakt nachverfolgen, was die Kund*innen kaufen.
Target-Datenspezialist*innen haben tausende Konsumhistorien analysierten und so herausgefunden: Schwangere erwerben ab einem bestimmten Zeitpunkt vermehrt unparfümierte Kosmetika. Aus dem veränderten Kaufverhalten lässt sich sogar schließen, wann in etwa die Geburt ansteht.
Target nutz die Informationen über die Schwangerschaften zum Beispiel, um Kundinnen zielgerichtet Rabatt-Coupons für Babyartikel zukommen zu lassen. Denn Werdende Eltern benötigen viele Produkte, die sie vorher nicht brauchten – und sind dementsprechend besonders gewinnversprechende Konsument*innen.

Wenn eine Supermarktkette dazu fähig ist, Schwangerschaften zu erahnen, sind Google, Amazon und Co. das (zumindest theoretisch) allemal. Denn während Target „nur“ die Daten US-amerikanischer Kund*innen sammelt, tracken die Internetgiganten Informationen von Milliarden User*innen auf der ganzen Welt. Der so entstehende Datenberg ist riesig – und damit steigt die Chance auf erschreckend exakt funktionierende Analyse-Algorithmen.
Die DSVGO als Lösungsansatz
Während die Internetkonzerne immer mehr Daten anhäufen, häufen sich auch die Stimmen, die fordern: Persönliche Daten müssen im Internet besser geschützt werden. Und: Nicht primär die User*innen, sondern vor allem Politik und Wirtschaft seien dafür in die Verantwortung zu nehmen.
Ein Instrument, das Freiheit und Privatsphäre von Nutzer*innen schützen soll, ist die Datenschutz-Grundverordnung (DSVGO). Sie regelt seit 2018, welche personenbezogenen Daten EU-Unternehmen sammeln sowie in welcher Weise sie diese verarbeiten dürfen. Zudem verpflichtet sich die DSVGO zu einer transparenten Datenverarbeitung und ermöglicht Privatpersonen Einsicht in alle über sie gesammelten Daten.
Um eine Kopie der eigenen Daten zu erhalten, genügt eine formlose Mail an den Dienst mit dem Verweis auf Artikel 15 der DSVGO. Theoretisch. Praktisch bedarf es oft einiger Mühe. Diese Erfahrung machte zumindest die Publizistin Katharina Nocun als sie bei Amazon eine Kopie der über sie gespeicherten Informationen anforderte. Erst nach wochenlangem langem Hin und Her rückte das Unternehmen die Daten der letzten 14 Monate heraus – kryptisch kodiert und verpackt in einer 50 Spalten breite und über 15300 Zeilen langen Excel-Tabelle. Ausgedruckt wäre der Papierstapel mehr als 1,70 Meter hoch, so Nocun. Eine erschreckende Datenmasse mit Bergen von Informationen – alle DSVGO-konform "ersammelt".
Zwischen Ausforschung und Angebotsoptimierungen
Ja, die DSVGO schütz User*innen und ihre Daten – in den Augen vieler Kriter*innen allerdings bei weitem nicht ausreichend. Gegenüber Netzpolitik.org bemängelt die Netzaktivistin Kirsten Fiedler, wir seien noch weit davon entfernt, "das Ausmaß der Datensammlung und -auswertung zu durchblicken." Nutzer*innen stehen weiterhin unter permanenter Beobachtung und nach wie vor führen Unternehmen "unglaubliche Mengen sensibler Daten" in umfassenden Profilen zusammen.
Ein Zustand, der auch Ferdinand von Schirarch sauer aufstößt. In seinem Buch „Jeder Mensch“ schlägt der Jurist und Schriftsteller sechs Grundrechte vor, welche die europäische Verfassung erweitern und modernisieren sollen. Er fordert, dass jeder Mensch ein Recht auf "digitale Selbstbestimmung" haben solle – "Die Ausforschung oder Manipulation von Menschen" müsse verboten werden. Wo aber endet die nutzerzentrierte Angebotsoptimierung auf Datenbasis – und wo fangen Ausforschung und Manipulation an?
Diskutiert diese und andere Fragen mit uns und unseren Speaker*innen bei Mind the Progress, dem Kongress, der Impulse für eine digitale Zukunft gibt.

Über Mind the Progress
Mind the Progress ist ein Kongress, der einmal im Jahr Impulse für eine digitale Zukunft gibt. Wir fragen: Was können wir heute für eine positive digitale Zukunft tun? Mind the Progress antwortet.

CFA-3 Online-Workshop "AI Prompting #2" mit Benjamin Bertram
12.6.2023 10:00 Uhr
Abschlussevent der Creative Future Academy #3
15.6.2023 18:00 Uhr
Barnerstraße 30, 22765 Hamburg
Workshop: Co-Creation mit Künstlicher Intelligenz
19.6.2023 19:00 Uhr
Online-Rechtsberatung durch die Cyber Law Clinic
21.6.2023 17:00 Uhr
Crowdfunding Club
27.6.2023 15:00 Uhr
Fragestunde - Kompakte Beratung für Kreative
29.6.2023 15:00 Uhr
Stockmeyerstraße 41-43, 20457 Hamburg
Sommerfest 2023 | Hamburg Kreativ Gesellschaft
6.7.2023 17:00 Uhr
Mönckebergstraße 2 5. OG und Dachgeschoss, 20095 Hamburg
scoopcamp 2023
14.9.2023 09:00 Uhr
Am Sandtorkai 28 #m28, 20457 Hamburg